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Österreich: SPÖ-Forderung nach neuem Transgender-Gesetz

  • Mittwoch, 6. Dezember 2006 @ 15:24
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Aktuell Was wird in den Koalitionsverhandlungen von der SPÖ-Wahlkampfforderung nach einem neuen umfassenden Transgender-Gesetz übrig bleiben?

Seit 6. Juni 2006 ist in Österreich der sog. „Transsexuellen-Erlass“ des Innenministeriums durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes als verfassungswidrig aufgehoben.

Geklagt hatte eine Transsexuelle, der vom Standesamt die Eintragung ihres "neuen" Geschlechts (weiblich) im Geburtenbuch verweigert wurde. Laut "Transsexuellen-Erlass" dürfen nur unverheiratete Personen einen solchen Antrag stellen - damit soll das Entstehen gleichgeschlechtlicher Ehen verhindert werden. Die Beschwerdeführerin hatte - noch als Mann - geheiratet und lebt mit ihrer Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern in glücklicher Familiengemeinschaft. Sie ließ sich nicht scheiden und klagte gegen den negativen Bescheid.

Das Urteil
Das Urteil des VfGH - von vielen Seiten begrüßt - ist erfreulich, aber so revolutionär nun auch wieder nicht: Der VfGH hat - stark verkürzt zusammengefasst - den "Transsexuellen-Erlass" aus zwei Gründen aufgehoben: der Erlass ist rechtsdogmatisch gesehen eine Verordnung und hätte als solche im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden müssen. Wurde er aber nicht und ist somit nichtig und aufzuheben. Und jede Verordnung braucht ein Rahmengesetz auf die sie sich stützen kann. Auch dieses fehlt, da eben der Erlass ein solches Gesetz praktisch 20 Jahre lang ersetzt hat. Eine rechtsformalistische Argumentation, die aber den Vorteil hat, als solche schlüssig und nach juristischen Maßstäben vergleichsweise "unangreifbar" zu sein.

Der eigentlichen Fragestellung ist der VfGH damit aber ausgewichen: ob ein Scheidungszwang für Transgender vor der Eintragung des "neuen" Geschlechts ein Verstoß gegen Artikel 8 der EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) darstellt darauf war "nicht mehr einzugehen".

Die Folgen
Das Urteil des VfGH stellt weder den materiellen Gehalt des Transsexuellen-Erlasses noch das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen wirklich in Frage, es kritisiert nur die fehlende gesetzliche Basis für beides. Nichts desto trotz ist das Urteil eine Chance - weil es die Bundesregierung zum handeln zwingt und damit die Möglichkeit eröffnet, eine neue, moderne Regelung zu schaffen.

Allerdings nicht automatisch, denn es gibt mehrere Optionen: Die neue Bundesregierung kann auch den Status quo wiederherstellen, indem sie den alten Transsexuellen-Erlass unter neuem Titel als einfaches Bundesgesetz neu beschließt und gleichzeitig das Personenstandsgesetz minimal novelliert – damit wäre dem Urteil des VfGH bereits ausreichend entsprochen.

Einen Schritt weiter ginge ein umfassenderes Transsexuellen-Gesetz nach dem Muster des bundesdeutschen "Transsexuellen-Gesetzes" (TSG). Dieses erlaubt wenigstens die Wahl eines neuen Vornamens des „anderen“ Geschlechts auch ohne geschlechtsanpassende Operation (was bis dato in Österreich nicht möglich war und ist) Die sog. "Kleine Lösung" des TSG ist ein Wunsch vieler Betroffener und eine langjährige Forderung von TransX.

Es geht aber auch anders: Eine der modernsten Lösungen ist derzeit der britische "Gender Recognition Act" aus dem Jahr 2004. Dieses Gesetz ist eigentlich eine kleine Revolution, trennt es doch erstmals die Kategorie Geschlecht von physisch-biologistischen Voraussetzungen. Nicht nur die Wahl eines dem "neuen" Geschlecht entsprechenden Vornamens, sondern auch der Eintrag eines anderen Geschlechts in amtliche Dokumente ist ohne "geschlechtsanpassende" Operation zwei Jahre nach Antragstellung möglich. Eine solche vergleichsweise weitgehende Regelung ist auch die jüngste Forderung der SPÖ (Stand 28.11.2006). Kann das die ÖVP mittragen?

Denn die gesellschaftliche Bedeutung des Themas liegt genau dort: Solange Transgender als medizinische "Sonderfälle" pathologisiert werden, bleibt das zweigeschlechtliche Menschenbild unangetastet und die konservative Welt in Ordnung; das falsche Geschlecht wird korrigiert, am Ende des Prozesses steht wieder eine klare Zuordnung weiblich oder männlich, Zwischenstufen nicht erwünscht. Mit diesem medizinisch-pathologischem Ansatz kann auch die ÖVP leben. Geschlecht aber als nicht "naturgegeben" sondern als soziale Kategorie, die durchaus ohne die "richtigen" primären Geschlechtsmerkmale/-organe auskommt, zu akzeptieren - dass sich das gemeinsam mit der ÖVP realisieren lässt, scheint ungefähr so realistisch wie die Abbestellung der Eurofighter durch eine große Koalition.

Die KPÖ hat ihren Standpunkt dazu zuletzt auf ihrem 33. Parteitag 2004 bezogen: sie fordert die generelle Streichung der Kategorie "Geschlecht" aus allen amtlichen Dokumenten und das Recht auf die freie Wahl des Vornamens, womit sich implizit auch derartige Regelungen für Transgender erübrigen würden.

Ausblick
Die SPÖ trägt ihre Forderung nach einem weitgehenden Transgender-Gesetz momentan - zumindest in den "Zielgruppenmedien" - vergleichsweise offensiv vor. Wird diese Forderung die Koalitionsverhandlungen überleben? Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Wie es Günther Tolar als Sprecher der SPÖ Parteigruppe SoHo - Sozialdemokratie und Homosexualität - jüngst in einer Aussendung erfrischend ehrlich formuliert hat "muss uns aber auch klar sein, dass wir nicht alles kriegen werden" (Zitatende). Die SPÖ wird an dieser "Minderheitenfragen" die "Mehrheitsbildung" im Nationalrat nicht scheitern lassen. Wir sind auf dem Weg in eine neue große Koalition - gesellschaftspolitischer Stillstand inklusive.

Autor: Christopher Frank