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Alles zu recht "queer" (Archiv / 2000)

  • Sonntag, 14. Januar 2007 @ 13:57
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Archiv von Stefan Broniowski
aus Volksstimme 47/2000 Das im wesentlichen unübersetzbare Wörtchen "queer" hat mittlerweile auch
den deutschen Sprachraum erobert. Aber was genau soll damit gesagt werden? "Queering Demokratie" versucht sich an einer Antwort.
von Stefan Broniowski

Vor einigen Jahren wurde in Nordamerika damit begonnen, den Ausdruck "queer" (eigentlich: "seltsam, fragwürdig, schwummerig,
"homo" ..." aber NICHT "quer"!) vom Schimpfwort (etwa: "WarmeR") umzufunktionieren zur kämpferischen Selbstbezeichnung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen (samt einigen Heteros), die ihre praktischen und theoretischen Unternehmungen nicht länger an der zwanghaften Identitätslogik der herkömmlichen Geschlechterverhältnisse ausrichten wollten. Mittlerweile hat das im wesentlichen unübersetzbare Wörtchen "queer" selbstverständlich auch den deutschen Sprachraum erobert. Aber was genau soll damit gesagt werden?

"Wissenschaftlich liegt die Bedeutung von QUEER vor allem im Zugriff auf
die vernachlässigte Dimension heterosexuell begründeter und
Heterosexualität begründender Herrschaft. Denn die Denaturalisierung von
(Hetero-)Sexualität, die durch QUEER-Bewegungen und -Theoriebildung
vorgenommen und durch gesellschaftliche Dynamiken vorangetrieben wurde,
zeigt, daß Heterosexualität als Heteronormativität in grundlegende
Gesellschaftskonzepte eingeschrieben ist und gerade dadurch ihre
Wirkmächtigkeit entfalten kann. Durch QUEER werden daher auch Risse in
dieser Realität beschrieben und die diskursiven Verankerungen sichtbar,
die Heterosexualität tradieren. QUEER signalisiert somit Widerstand gegen
Regimes der Normalisierung und ist ein Zeichen des Ringens um
gesellschaftliche Deutungsmuster, deren Gültigkeit in Frage steht (...)"
Aber "queer" ist selbstverständlich nicht nur ein theoretisches Projekt.
"Politisch stellt QUEER Aktionsformen und soziale Bewegungen in Frage, in
denen grundlegende Gemeinsamkeiten oder homogene Gruppenidentitäten
Voraussetzung für kollektives Handeln sind. Kritisch betrachtet werden
aber auch Minderheitenpolitiken, die sei es aus einer FürsprecherInnen-
oder aus einer Betroffenenposition heraus, daran festhalten, Gruppen zu
definieren und zu klassifizieren, um deren Schutz oder Gleichstellung zu
erwirken."

Anerkennung ist nicht Emanzipation

Alle hier wiedergegebenen Zitate stammen aus der Einleitung zu "Queering
Demokratie", einem Buch, das auf einen gleichnamigen Kongreß aus
dem Jahre 1998 zurückgeht.

Der schlanke Sammelband hat es in sich. Beiträge von
dreizehn Autorinnen und einem Autors vermitteln in den deutschen
Sprachraum eine sexualpolitischen Debatte, die bisher vor allem auf
englisch geführt wurde. Gesucht wird die "Auseinandersetzung mit der
Ambivalenz zwischen dem Streben von marginalisierten nach
gesellschaftlicher Teilhabe und der Tauglichkeit des Instruments Recht"
(Nico J. Berger). Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Folgen es
hat, wenn, wie es derzeit mehr oder minder der Fall ist, lesbische und
schwule Politik auf den Kampf um "Rechte" beschränkt bleibt.
"Es geht mehr als je darum, dafür zu streiten, daß die Abweichung von der
heterosexuellen Norm kein Grund ist, uns von vollständiger bürgerlicher
Teilhabe auszuschließen. Und in den westlichen Demokratien sieht es ja
auch ganz danach aus, daß der Eintritt in die (noch) sozialstaatlich
verfaßte Bürgergesellschaft gelingen könnte. Allerdings erfolgt dieser
Eintritt historisch zu einem Zeitpunkt, an dem letztere sich tendenziell
vom -- wenn auch immer nur partiell eingelösten -- Projekt sozialer
Verantwortung, gerechter Verteilung und der Ermöglichung politischer
Partizipation verabschiedet, an dem eine ökonomische Konzeption von
Bürgerschaft an Bedeutung gewinnt, an dem staatliche Machttechniken
radikal reorganisiert und politische und soziale BürgerInnenrechte
zunehmend ausgehöhlt werden." (Sabine Hark)

Angesichts dieser Situation droht die gängige Verkürzung politischer
Ansprüche auf Rechtsfragen, insbesondere auf solche rund um die sogenannte
"Homo-Ehe", eher zur Rechtfertigung und Absicherung der herrschenden
Verhältnisse beizutragen statt sie grundlegend zu verändern. Sabine Hark
warnt darum davor, "Recht" und "Politik" miteinander zu verwechseln:
"Rechte sind nicht dasselbe wie Gleichheit rechtliche Anerkennung ist
nicht dasselbe wie Emanzipation."

Heteronormalisierung der Homosexualität

"Das Subjekt genießt nie rechtliche Anerkennung, ohne einen Preis zu
zahlen -- auf die eine oder andere Art kommt es immer zu einer
Neuverhandlung und Standardisierung seiner oder ihrer Identität." (Anne
Marie Smith) Für Schwule und Lesben bedeutet das, daß nicht bloß sie
selbst darüber bestimmen, was es heißt, schwul oder lesbisch zu sein,
sondern daß der gesellschaftliche -- und das bedeutet: mehrheitlich von
Heterosexuellen geführte -- Diskurs über Homosexualität eine entscheidende
Gestaltung durch rechtsverbindliche Definitionen erfährt. Denn "nicht jede
Konstruktion von Homosexualität ist eine rechtstaugliche Konstruktion
(Hark), vielmehr gilt: Je ähnlicher homosexuelles Verhalten dem normativen
Ideal von Heterosexualität erscheint, desto "zulässiger" und eher zur
Verrechtlichung geeigneter ist es. Was zu sehr abweicht, bleibt nach wie
vor draußen.
Hark spricht von der "Heteronormalisierung der Homosexualität".
"Homosexualität ist eine Kategorie, die nur in Relation zu normativer
Heterosexualisierung existiert. Sie kann nicht gleich sein mit
Heterosexualität, da sie notwendig ist als Opposition zu ihr (...)" Nicht
"die Lesben" und "die Schwulen" können also je "gleichberechtigt" werden,
sondern nur Schwule und Lesben, sofern sie sich dem heterosexuellen
Vorbild angleichen bzw. ihm schon angeglichen sind.
"Die mit dem Recht (im weiteren Sinne als juridischer Diskurs, Anm.) auch
verknüpfte Hoffnung, durch Aufklärung Homosexualität zu entstigmatisieren
und zu normalisieren, verkennt (...) gerade den Status von Homosexualität
als einer für die Herstellung moralischer Ordnung von Gesellschaften
notwendiges Feld. (...) Die Forderung nach gleichen Rechten für Lesben und
Schwule, die lediglich den Einschluß in bereits etablierte Rechte zum Ziel
hat, bestätigt mithin die Normalität institutionalisierter
Heterosexualität als natürliche Kondition der Mehrheit. Sie versagt daher
bei der Aufgabe, deren Legitimität in Frage zu stellen. (Die Fokussierung
auf gleiche Rechte verfehlt den Punkt, daß Homosexualität unvermeidlich
reguliert und stigmatisiert werden wird, während Heterosexualität ihre
privilegierte Position als unhinterfragte institutionalisierte kulturelle
Norm behält (...)" (Hark)

Ein konservatives Projekt

Der Zusammenhang von Rechtsgleichheit einerseits, Anpassung und Verwerfung
andererseits wird wohl besonders deutlich im Zusammenhang mit der
Diskussion um "gleichgeschlechtliche Partnerschaften".
"Die Forderung nach dem Recht auf Eheschließung, die oft verpackt wird in
die Phrase "Übernehmen von Verantwortung für persönliche Beziehungen, läßt
sich nahtlos in konservative Bemühungen einpassen, die
Sozialleistungsansprüche von Frauen, die in Armut leben, zu kürzen und
ihnen die Ehe anzutragen", schreibt Lisa Duggan, und auch Shane Phelan
meint: "Gleichgeschlechtliche Ehen können nicht nur zur sexuellen
Befreiung führen, sie können ebensogut die Trennung in ehrbare Schwule und
Lesben und ihre "geächteten" Vettern und Cousinen verstärken."
Gleichstellungskampagnen hätten die patriarchalen Verhältnisse der
modernen heterosexuellen Familie weitgehend außer Acht gelassen.
BefürworterInnen der "Homo-Ehe´" gingen statt dessen davon aus, daß das
zeitgenössische Ideal einer kameradschaftlichen Ehe der Realität
entspreche.

Doch die Wirklichkeit ist eine andere. Phelan zitiert Studien, denen
zufolge "Lesben und Schwule, die Ehe und Familienbeziehungen eingehen,
dazu tendieren, ihre Beziehungen stärker als zuvor nach den Beziehungen
ihrer Eltern auszurichten". Es gebe etwa lesbische Mütter, "deren
"mütterliches Selbstverständnis" genauso wie das ihrer heterosexuellen
Pendants von Bedingungen bestimmt wird, die von einer heterosexuellen
Kultur vorgegeben werden. Diese Erkenntnis schließt den Glauben ein, daß
sie als (lesbische) Mütter auf eine Art erwachsen sind, in der es
kinderlose Menschen nicht sind, und sie assoziieren Mutterschaft in einer
Weise mit "Güte", die den Mainstream-Diskurs anklingen läßt."
Der deutsche Grünpolitiker Volker Beck dürfte also recht gehabt haben, als
er das rotgrüne Projekt einer "eingetragenen Partnerschaft" für
gleichgeschlechtliche Paare als "konservativ" verteidigte ... Wie aus den
bisherigen Erfahrungen zu schließen ist, verändern nicht so sehr die
miteinander verheirateten Schwulen oder Lesben die Weisen, wie das
Rechtsinstitut Ehe praktiziert wird, sondern die Anpassung an das
heterosexuelle Modell der rechtlichen Verbundenheit verändert das
lesbische und schwule Selbstverständnis und die schwule und lesbische
Praxis.

Drinnen rütteln!

Im Kampf der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender usf., so Arlene
Stein, gehe es um viel mehr als um das Recht, Ebenbild heterosexueller
Normalität zu sein, es gehe um mehr als um das Recht, in
Familienstrukturen integriert zu werden, die verheiratete, monogame Paare
auf Kosten der Vielfalt tatsächlich existierender Familienformen
privilegiert. "Viele von uns wollen BürgerInnen, ein Teil der
gesellschaftlichen Ordnung sein. Wir wollen jedoch zu unseren eigenen
Bedingungen Eintritt in diese erhalten. Und wenn wir in dieser Ordnung
erstmal drinnen sind, wollen wir an ihr rütteln, sie subvertieren und
vorgefertigte Vorstellungen davon, wer oder was normal und natürlich sein
soll, herausfordern." -- Vielleicht gelingt es ja eines Tages sogar, die
Vorstellung, daß überhaupt irgendwer oder irgendwas "normal" und
"natürlich" sein soll oder ist, nicht nur herauszufordern, sondern
kleinzukriegen.

Jedenfalls bedarf ein solcher "Kampf" eines Denkens, das sich -- gleichsam
im symbolischen Vorgriff auf erst herzustellende befreite
gesellschaftliche Verhältnisse -- von der Festlegung auf fremdbestimmte
Wesenszuschreibungen frei machen kann und Ausblicke eröffnet auf Vielfalt
möglicher Lebensweisen und die Verluste, die mit ihrer Definition
verbunden sind.

In diesem Sinne ist "Queering Demokratie", aus dem hier nur sehr weniges
vorgestellt werden konnte, ein gehaltvoller Beitrag zur aktuellen
rechtspolitischen und rechtsphilosophischen Diskussion. Dem Querverlag sei
dafür gedankt, in Zeiten der blinden Integrations- und Assimilationswut
diese Veröffentlichung gewagt zu haben; mögen ihr viele weitere folgen.
Und mögen sie viele Leserinnen und Leser haben, nicht nur (aber auch!)
unter Lesben und Schwulen.

quaestio (Hg.): Queering Demokratie. Sexuelle Politiken, Berlin 2000
(Querverlag)