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Pier Paolo Pasolini .... che vivo di passione (Archiv / 2000)

  • Sonntag, 14. Januar 2007 @ 14:05
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Archiv aus: Volksstimme 43/2000
von Stefan Broniowski Volksstimme 43/2000

Pier Paolo Pasolini .... che vivo di passione

"... der ich von Leidenschaft lebe". -- Vor 25 Jahren, in der Nacht aufden 2. November 1975, wurde der italienische Schriftsteller und Filmemacher Pier Paolo Pasolini ermordet.
von Stefan Broniowski

Am 22. Oktober 1949 wird der Lehrer und Sektionssekretär der Kommunistischen Partei Italiens in San Giovanni di Casarsa, Pier Paolo Pasolini, wegen Verführung eines Minderjährigen und Unzucht in der Öffentlichkeit angezeigt. Was spätestens aus heutiger Sicht eigentlich kaum der Erwähnung wert ist, ein Siebenundzwanzigjähriger wichst mit einem Sechzehnjährigen im Gebüsch, wird zum Skandal. Pasolini war damals bereits aufgrund seiner Tätigkeit als Schriftsteller, Pädagoge und Politiker eine "öffentliche Gestalt" (Naldini); die Anzeige, der Skandal, der Prozeß und schließlich die Flucht aus dem heimatlichen Friaul in unbekannte Rom bilden einen biographischen Wendepunkt und bündeln einige Motive, die von da an mit Pasolini, ob er es will oder nicht, verbunden bleiben werden: persönliche Leidenschaft, politisches Engagement, öffentliche Erregung und nicht zuletzt: Homosexualiät.

Ein sozialer Tod

In den 40er Jahren hatte der aus dem norditalienischen Bürgertum stammende
Pier Paolo Pasolini Marx und vor allem Gramsci für sich entdeckt. Seine Parteinahme für die gesellschaftlich Benachteiligten führte schließlich
zum Parteieintritt. "Nach langen Zweifeln" immerhin hatten Kommunisten
seinen jüngeren Bruder Guido, einen leidenschaftlichen Antifaschisten und
Kämpfer der Resistenza, in den Wirren des Jahres 1945 erschossen
schrieb sich Pasolini 1947 (oder Anfang 1948, Anm.) in die KPI ein (...)
Viele Abende verbrachte Pasolini nun in den staubigen Vereinslokalen,
viele Tage auf Demonstrationen, Delegiertenversammlungen, Hausbesetzungen,
bei der Wahlpropaganda. Er war bald eine öffentliche Persönlichkeit, seine
leidenschaftlichen und unorthodoxen Reden auf den Kongressen (nicht nur
solchen der KPI, u.a. auch in Paris und Budapest, Anm.) verschafften ihm
Anerkennung. Er schrieb für mehrere Tageszeitungen. Als Sektionssekretär
erfand er so etwas wie die späteren maoistische Tatsebaos: zu jedem Thema
klebte er handgeschriebene Wandzeitungen vor das Parteilokal, auf denen er
in der Sprache der Bauern, aus ihrer Sicht und in ihrem Wortschatz, die
Dorfleute agitierte, den Dialog mit ihnen suchte. (...) Vor allem die
konservativen, katholischen Kreise sahen in dem Erfolg Pasolinis bei der
Bevölkerung, bei den einfachen und armen Bauern, die er wirklich kannte,
eine Gefahr. Es gab auch schon versteckte Warnungen und vage Bedrohungen
durch seinen politischen Gegner. (Schweitzer)
Pasolini schlägt die Warnungen in den Wind und ignoriert die sehr reale
Bedrohung. Als es dann seinen Gegnern endlich gelingt, ihn bei seiner
Homosexualität zu packen, verliert er mit einem Mal alles: seinen Ruf,
seine Stelle als Lehrer und die Mitgliedschaft in der KPI. Unmöglich zu
sagen, was davon ihn am meisten trifft.

Euer ungeachtet ...

In der kommunistischen Tageszeitung "L`Unità" wird schon eine Woche nach
der Anzeige Pasolinis dessen Ausschluß bekannt gegeben, verbunden mit dem
Hinweis auf "die verderblichen Einflüsse gewisser ideologischer und
philosophischer Strömungen der diversen Gide, Sartre und anderer
dekadenter Poeten und Literaten (...), die sich als Progressisten gebärden
wollen, in Wirklichkeit aber die schändlichsten Seiten der bürgerlichen
Verkommenheit auf sich vereinen".

Aber Pasolini läßt sich nicht beirren: "Ich wundere mich nicht über die
teuflische Heimtücke der Christdemokraten", schreibt er an einen seiner
ehemaligen Genossen, "Ich wundere mich aber über eure Unmenschlichkeit; du
weißt sehr wohl, daß es Blödsinn ist, von ideologischer Verirrung zu
sprechen. Euer ungeachtet bin und bleibe ich Kommunist und zwar im echten
Sinn des Wortes. Doch was sage ich da? Bis heute früh hielt mich der
Gedanke aufrecht, daß ich meine Person und meine Karriere dem Glauben an
ein Ideal geopfert habe; jetzt habe ich nichts mehr, worauf ich mich
stützen könnte. Ein anderer an meiner Stelle würde sich umbringen;
unglücklicherweise muß ich für meine Mutter weiterleben."
Tatsächlich hat Pasolini den Kommunisten auch später seinen Hinauswurf nie
vorgeworfen; Ende der 60er Jahre stellt er das Ende seiner Mitgliedschaft
sogar so dar, daß er irgendwann bloß den "abgelaufenen Mitgliedsausweis
nicht verlängert" habe. Aber die Wunde saß tief. Zwar rief Pasolini bei
jeder Wahl dazu auf, es ihm gleich zu tun und die KPI zu wählen, aber in
einem dieser von "L`Unità" abgedruckten Wahlaufrufe in Versen heißt es:
"Ich habe mich der KPI immer mit Hingabe widersetzt und erwartete mir eine
Antwort auf meine Einwendungen. Denn ich wollte ja dialektisch vorgehen!
Diese Antwort ist nie gekommen: Eine brüderliche Polemik ist für eine
blasphemische gehalten worden."

"Rom ist göttlich!"

Nach dem "sozialen Tod im Friaul" (Schweitzer) geht Pier Paolo Pasolini
nach Rom. Er ist völlig mittellos und schlägt sich mit diversen
Beschäftigungen durch: Er wird Privatlehrer, korrigiert Druckfahnen,
arbeitet als Komparse beim Film. Daneben schreibt er: Zeitungsartikel und
Gedichte. Erste Erfolge in Gestalt von Preisen stellen sich ein. Pasolini
lernt zahlreiche SchriftstellerkollegInnen kennen. Und er erforscht Rom.
"Rom ist göttlich", verkündet der arbeitslose Hungerleider, denn er hat
die Welt der Borgate, der Arbeitervorstädte, für sich entdeckt. "Nicht zu
resignieren hieß vor allem, sexuell nicht zu resignieren. Er nimmt die
Herausforderung der Großstadt an, er sucht die aggressive Freiheit der
Jugend in den Armenvierteln." (Schweitzer)

Pasolini hatte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert und war
bereits durch seine Beschäftigung mit der Sprache des Friaul als Dichter
und Sprachwissenschaftler bekannt geworden. Nun stürzt er sich mit dem
Eifer eines sein Begehren als Antrieb nutzenden -- Anthropologen auf die
römischen Dialekte und Soziolekte. Die Körper, die Sprache, die sozialen
Verhältnisse der jungen Männer interessieren in gleichermaßen. Aus
Pasolinis freilich nie bloß persönlichen Erfahrungen gehen bald die Romane
"Ragazzi di vita" und "Una vita violenta" hervor, die ihn berühmt machen.
Und noch vieles an seinen späteren Filmen deren erster, "Accatone", 1961
herauskommt ist eine mit den Mitteln der Ästhetik vorangetriebene
bewußte Erkundung des mit allen Sinnen Erfahrenen.

Ein moralischer Antityp, ein Geächteter

Doch egal, was Pier Paolo Pasolini im letzten Vierteljahrhundert seines
Lebens auch produzieren wird -- er schreibt Gedichte, Erzählungen, Romane,
Theaterstücke, Drehbücher, er dreht Filme und er zeichnet und malt auch,
und nicht zuletzt schreibt er Beiträge, manchmal sogar als Kolumnist für
Zeitungen und Zeitschriften, seine öffentliche Existenz, seine Person
ebenso wie sein Werk, erregt Ärgernis. Manchmal kommt es "nur" zu
heftigen Kontroversen in den Medien, nicht selten aber auch zu
Verhandlungen vor Gericht: Immerhin mehr als dreißigmal wurde in nur
fünfundzwanzig Jahren gegen den Schriftsteller und Filmemacher Anklage
erhoben.

Die Gesellschaft, in der Pasolini lebt, kann zwar die ästhetischen,
ideologischen und politischen Abweichungen, die er sich zu Schulden kommen
läßt, wenn schon nicht verzeihen, so doch tolerieren, seine sexuelle
Abweichung jedoch provoziert immer wieder rasenden Haß.
Dabei ist für Pasolini Homosexualität zunächst keineswegs etwas
Erstrebenswertes: "Ich war dazu geboren, heiter, ausgeglichen und
natürlich zu sein. Meine Homosexualität war überflüssig, lag außerhalb,
hatte nichts mit mir zu tun. Ich habe sie immer wie einen Feind neben mir
gesehen, ich habe sie nie drinnen in mir gefühlt."
Doch weil sich in dem Pasolini zugewiesenen und von ihm angenommenen
Außenseitertum das Künstlerische und Politische untrennbar mit dem
Homosexuellsein verschränken, kann es in seinem Fall hat der erste
Skandal erst einmal stattgefunden keine reinliche Scheidung von
öffentlicher Person und privatem Begehren mehr geben:
"Seit zwanzig Jahren hat die italienische Presse, und an erster Stelle die
schreibende Presse, dazu beigetragen, aus meiner Person einen moralischen
Antityp zu machen, einen Geächteten. Es besteht kein Zweifel, daß zu
dieser Ächtung seitens der öffentlichen Meinung die Homophilie beigetragen
hat, die mir mein Leben lang angelastet wurde wie ein in dem von mir
verkörperten Fall besonders emblematisches Schandmal: die Besiegelung
einer menschlichen Verworfenheit, von der ich angeblich gezeichnet bin,
und die alles, was ich bin, meine Sensibilität, meine Vorstellungskraft,
meine Arbeit, die Gesamtheit meiner Gefühle, meiner Empfindungen und
meiner Handlungen angeblich dazu verdammt, nichts anderes zu sein als eine
Tarnung dieser Ursünde, einer Sünde und einer Verdammnis (...)."

Mit dem Lästern fortfahren

Aber Pier Paolo Pasolini suchte niemals den Skandal um des Skandals willen. Vielmehr sucht der Skandal unweigerlich ihn, denn jemand, der immer nur kompromiß- und konzessionslos seine eigene Meinung, seine eigene Auffassung vertreten wollte, muß damit unweigerlich auffallen, verstören, ärgern.

Pasolinis vielbeachtetes Außenseitertum ist keine Pose, sondern die wie ein anachronistisches Martyrium (von griech. martys: Zeuge) auf sich zu nehmende Position eines ästhetischen, politischen und sexuellen Nonkonformisten; von dieser "exzentrischen", also aus der Mitte verschobenen Position aus formuliert Pasolini seine ebenso fundamentale wie detaillierte Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Außenseiter hervorbringen.
Die sich gleichsam vor seinen Augen und unter seinen Händen formierende Konsumgesellschaft stößt Pasolini ab. "Ich bin eine Kraft der Vergangenheit", meint er einmal, doch ist er keineswegs der Nostalgiker für den manche ihn halten wollen, denn seine Liebe zum "Barbarischen" ist
niemals rückwärtsgewandt oder geschichtslos, sondern eine Option auf eine Zukunft, die mit dem Unrecht und der Häßlichkeit der Gegenwart bricht. Darum gilt Pasolinis leidenschaftliche und zärtliche Aufmerksamkeit dem Einzelnen in der Massengesellschaft, den "Lumpenproletariern", den vernachlässigten Gegenden Roms und Italiens, den Menschen und Kulturen der
sogenannten "Dritten Welt".

Nicht zufällig tragen seine Bücher Titel wie "Freibeuterschriften", "Ketzterbriefe" oder "Häretischer Empirismus", denn er war ein "Dissident der Dissidenten", einer, der es versteht, sich im Zweifelsfall bei allen unbeliebt zu machen, vor allem aber bei denen, die ihren Konformismus
dadurch umso ungestörter leben zu können meinen, daß sie ihn hinter herrischem Gerede von Fortschritt und Gerechtigkeit verstecken. Pasolinis letzter Text, eine wenige Stunden vor seinem Tod verfaßte Ansprache an den Kongreß der Radikalen Partei, enthält, wenn schon nicht
Pasolinis "Testament", so doch in verdichteter Form ein von seiner ganzen
Existenz beglaubigtes "Programm": "Vergeßt unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern!"

Über Pasolini
Nico Naldini: Per Paolo Pasolini. Eine Biographie, (Wagenbach)
Pier Paolo Pasolini: Wer ich bin, (Wagenbach)
Otto Schweitzer: Pasolini, Reinbek 1986 (Rowohlt)
Enzo Siciliano: Pasolini. Leben und Werk, Weinheim 1980 (Beltz & Gelberg)